Wie sie mein Zimmer eroberten

Passionsblumen sind faszinierend. Als ich sie letzten Herbst das erste mal traf, war es Liebe auf den ersten Blick. Sie nannte sich Passiflora aurantia. Dieser Name war auf einem Schildchen geschrieben. Sie war so fremdartig, unbekannt und ornamental mit ihren Tentakeln und dem Gewirr von Zweigen und diese seltsamen orangen Blüten schienen von einer anderen Welt zu stammen. Nach einem zweitägigen inneren Kampf musste ich einfach zurückkehren und diese 700 Kronen bezahlen um sie mein Eigen zu nennen.

Sie bekam einen Ehrenplatz in der Mitte meines Fensters mit neuen, kürzeren Vorhängen. Ich wollte eine gute Sicht auf sie haben. Na, und was jetzt? Woher kommst du und was magst du? Also auf ins Internet. Dort gab es allerdings keine tschechische Site über sie und natürlich auch keine Information auf tschechisch, allerdings viel Information in anderen Sprachen. Auf der ersten Seite entdeckte ich, dass meine aurantia einige Schwestern hat, genauso interessant wie sie selbst. Also druckte ich mir deren Bilder aus. Auf der nächsten Seite die ich besuchte fand ich noch mehr Verwandte und fügte sie meinem "Familienalbum" hinzu. Drei Tage später landete der Versuch eines "Familienalbums" im Papierkorb - die Welt der Passionsblumen ist einfach zu groß um auf Papier ausgedruckt zu werden.

Meine zweite Passionsblume war Passiflora caerulea. Heute weiß ich, dass ich sie treffen musste. Diese caerulea ist die verbreiteste Passionsblume in Tschechien. Sie stand auf einem Regal im Supermarkt, schaute sehr heruntergekommen aus und war im Preis stark reduziert. Sie besaß nicht einmal ein Schildchen, allerdings wusste ich zu dieser Zeit auch ohne "Familienalbum" dass sie eine Passionsblume war. Bis zu diesem Moment wusste ich noch nicht, dass aurantia nicht allein am Fensterbrett bleiben würde.
Sie blühte kurz nachdem ich sie gekauft hatte und es war leicht sie zu identifizieren. Aber kurz nach dieser Blüte war sie voll von ekeligen Insekten. In einem Blumengeschäft, wo ich Hilfe gegen diese Insektenplage suchte, sah ich zufällig eine weitere Passionsblume. Für meine unerfahrenen Augen erschien sie als eine weitere caerulea, und mit der hatte ich ja bereits Schwierigkeiten genug. Aber als ich wieder zu Hause bei meinem Patienten war sah ich, dass sich die Blätter doch stark unterschieden.

Also fuhr ich sofort zurück, um die dritte Passionsblume in meine "Sammlung" einzuverleiben. Einige Tage später, als sie die letzte Blüte dieses Jahres öffnete (und die einzige, die ich bisher an ihr sah), hat mich diese Gattung endgültig in ihren Bann gezogen. Solch lustige, zerzauste Blüten, violett mit kleinen weissen Punkten ... wahrscheinlich Jelly Joker.

Dies ist die Geschichte, wie sie mein Zimmer eroberten. Nun habe ich ein viel größeres Fensterbrett als vorher, voll von Passionsblumen. Zwei Pflanzenlampen erleichtern meinem Urwald die dunklen Tage des tschechischen Winters zu überleben, ein Ventilator bläst sanft Luft durch das Blättergewirr und die Vorhänge sind noch kürzer geworden. Und ich bin gerade dabei meine Familie zu überzeugen doch aus dieser Wohnung auszuziehen und in ein Glashaus mit angeschlossenem Wohnbereich zu übersiedeln.